14. Juli 2000

 
Raul Zelik

Die Rückkehrer

SCHLUSS MIT DEM EXIL
In Brandenburg haben Jugendliche die Aktion "Noteingang" und vor allem gegen Rathäuser zu kämpfen. Jetzt bekommen sie den Friedenspreis

Der erste Eindruck von Schwedt ist beinahe idyllisch. Man kommt durch die gewellte, von Grundmoränen durchzogene Uckermark, sieht Reiher neben den Gleisen herumstaken, rollt auf das Petro-Chemische Kombinat zu - eine riesige, nachts orange schimmernde Industrieanlage, die in den achtziger Jahren noch einmal modernisiert wurde. Dahinter die Stadtteile Waldrand und Talsand - leer stehende Wohnblocks wie Symbole der niedergegangenen DDR -, verschlafene Bahnhöfe auf der Stichstrecke Angermünde-Schwedt, die leere, erst vor kurzem abgewickelte Schalterhalle. Doch einen gelassen nostalgischen Blick können sich nur diejenigen leisten, die als weiße, durchschnittlich gekleidete Deutsche hierher kommen.

Schwedt galt lange als Inbegriff des "braunen Ostens". Seit 1991 zog praktisch die gesamte Antifa aus der Stadt weg, nachdem mehrere Mitglieder krankenhausreif geschlagen worden waren. Die "Schwedter im Exil", wie die Jugendlichen in Berlin genannt wurden, fuhren nur noch zu Kurzbesuchen nach Hause, um das kostenlose Info-Blatt Geierwally zu verteilen. Gruppen von mindestens 30 Brandenburger und Berliner FreundInnen begleiteten die "Exilanten" nach Schwedt, um dort die Zeitung vor Schulen und Betrieben unter die Leute zu bringen. Die Grenzstadt nach Polen war Feindesland.

Heute gibt es in Schwedt wieder antirassistische Gruppen. Das ist ermutigend, aber bedeutet noch lange keine Kehrtwende. "Sicher", sagt die 20-jährige Maike*, die Ende 1998 die örtliche Initiative der Aktion "Noteingang" mitgründete, "es gibt weniger Überfälle als früher, aber nur deswegen, weil kaum noch jemand da ist, den die Nazis verprügeln könnten. In Schwedt gibt es keine alternativen Jugendzentren, keine selbstbestimmten Projekte, keine Asylbewerberheime. Du fällst mit bunten Haaren mehr auf als mit braunem Hemd und Reichskriegsabzeichen. Die wenigen Ausländer trauen sich kaum auf die Straße. Das schlimmste daran ist: Alle finden es normal."

Die Aktion "Noteingang" ist eine Initiative von Jugendlichen aus 13 Brandenburger Städten. Sie entstand vor zwei Jahren und richtete sich vor allem an Ladenbesitzer und öffentliche Einrichtungen. An Schaufenstern und Eingangstüren sollten Aufkleber angebracht werden, damit potenzielle Opfer rassistischer und faschistischer Überfälle wissen, wo sie im Zweifelsfall hineinflüchten können. Dabei ging es nicht nur um Schutz für Migranten oder schwarze Deutsche. "Ziel war es auch, die Bevölkerung dazu zu bringen, sich zu positionieren. Landbesitzer, Behörden, Stadtverwaltungen sollten Stellung beziehen", sagt Susanne Lang, die ebenfalls aus Schwedt stammt und damals die Aktion mit koordinierte. Die Reaktionen seien allerdings in vielen Fällen niederschmetternd gewesen. "Die Antworten reichten von >Das ist uns zu gefährlich< bis zu >Dann kommen zwei Drittel unserer Kunden nicht mehr<". Oder man erklärte uns, dass die Gewalt gegen Schwarze zwar nicht in Ordnung sei, aber doch irgendwie verständlich: >Wir schicken denen Entwicklungshilfe, und die da unten lassen unsere Trecker verrotten.<" Besonders in Erinnerung geblieben ist Lang das Verhalten eines Ladenbesitzers in Bernau nördlich von Berlin, der die Aktion zunächst befürwortet hatte, dann jedoch, nachdem der CDU-Bürgermeister Handke den städtischen Einrichtungen eine Beteiligung untersagt hatte, den Aufkleber wieder entfernte. "Der hat bei einer Podiumsdiskussion allen Ernstes gesagt, dass man >die Fehler von '33 nicht wiederholen dürfe: Früher wurden die Juden ausgegrenzt, heute die Rechten.<"

In Schwedt schien die Sache zunächst einfacher: Immerhin unterstützte der Bürgermeister hier die Aufkleber-Aktion auch an städtischen Einrichtungen. Doch bald wurde klar, wie wenig man auf das Rathaus zählen konnte. Bürgermeister Schauer von der SPD, der sich während der Übergriffe Anfang der neunziger Jahre konsequent geweigert hatte, die massenhafte Existenz von Nazis in Schwedt auch nur wahrzunehmen, war vor allem um das Image der Stadt besorgt. "Er hat frühzeitig signalisiert, dass er keine weiteren Aktionen unterstützen werde", sagt Maike. Offensichtlich besteht die Angst der Verwaltungen hauptsächlich darin, dass ihre Städte aufgrund der Angriffe in die überregionale Presse kommen könnten. Für problematisch hält Maike auch die Linie der Brandenburger Landesregierung. "Es wird Toleranz gepredigt. Aber genau das hat Schwedt zu dem gemacht, was es ist. Man ist regelrecht widerstandsunfähig gegenüber den Nazis, weil man ja nicht intolerant wirken will. Die Bevölkerung will von Konflikten nichts wissen und akzeptiert die Dominanz der Rechten."

Seitdem bekannt ist, dass die Initiative der Jugendlichen den diesjährigen Aachener Friedenspreis erhalten wird, kann sie sich vor Zuspruch kaum noch retten. Politiker loben die Zivilcourage der Beteiligten, die Gruppe ist eingeladen worden, sich an dem von der Stolpe-Regierung initiierten Aktionsbündnis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus zu beteiligen. Dabei wird geflissentlich verschwiegen, dass sich die Initiative auch gegen die staatliche Asylpolitik richtet. "Rassismus ist nicht allein ein Problem der Nazis und schon gar nicht nur des Ostens", sagt Susanne Lang. "Die Grundstimmung kommt aus der Mitte der Gesellschaft und aus den Institutionen. Wir protestieren nicht nur gegen Stiefelnazis, sondern auch gegen die herrschende Asylpolitik und die Abschottung der deutsch-polnischen Grenze."

Für die wenigen nicht-deutschen Menschen in Schwedt ist die Initiative zwar ein Hoffnungsschimmer, aber noch lange keine Perspektive. Die Barzanis* aus Afghanistan beispielsweise, die seit Anfang der neunziger Jahre in Schwedt wohnen, verlassen die Wohnung so selten wie möglich, fast täglich kommt es zu Beschimpfungen oder Angriffen. Aber weggehen kann die Familie auch nicht: Asylbewerbern ist das Verlassen des Landkreises verboten. Einer von den wenigen, der nach eigenen Aussagen einigermaßen klarzukommen scheint, ist Paolo Rua*, ein Mosambikaner, der seit zwanzig Jahren in Brandenburg wohnt. "Die Bengels", wie er die Jung-Nazis nennt, "provozieren mich, aber richtig ran trauen sie sich nicht." Das Wunder hat eine weltliche Erklärung: Rua war Sportboxer in der DDR und ist dafür in der Stadt bekannt. Doch der Sozialarbeiter denkt auch er übers Wegziehen nach. "Mein Junge kommt bald in die Schule, und der kann nicht immer ignorieren, wenn sie ihn beschimpfen. - Ich glaube, das wird alles noch schlimmer."

*Namen von der Redaktion geändert

 

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