"Man muss ständig
schauen, wo der Feind ist"
Frankfurt/Oder (NRZ). Marysia R. und Stanislaw T.
studieren an der Europa-Universität "Viadrina"
in
Frankfurt an der Oder. Die Bedingungen, unter denen sie
hier in der Grenzstadt lernen, loben sie als "hervorragend"
und "beispielhaft". Auf dem Campus fühlen sie
sich wohl, mit den Kommilitonen aus 37 weiteren Ländern
haben die beiden polnischen Studenten "keine
Schwierigkeiten".
Die Probleme in der ostbrandenburgischen Stadt beginnen
erst, wenn sie das Universitätsgelände verlassen:
"Am Abend ist es ein wenig so, wie man sich ein Bürgerkriegsgebiet
vorstellt", erzählt der junge Mann, "man muss
ständig schauen, wo der Feind ist, vor allem wenn man über
Plätze geht." Immer wieder werden auf offener Straße
ausländische Studenten von Skinheads angepöbelt oder
geschlagen. "Seit Monaten werden es mehr
Studienfreunde, die wie aus heiterem Himmel beschimpft,
bespuckt und attackiert wurden", berichten die
beiden.
Auch Alfonso Troya hat sich nichts weiter gedacht, als er
kürzlich auf dem Bahnhofsvorplatz von drei jungen
Deutschen gefragt wurde, ob er Ausländer sei. Als der
Wortführer ihm dann die rechte Hand hinstreckte, wollte
der Spanier nicht unfreundlich sein und beugte sich dem
Mann entgegen. Ein wuchtiger Schlag traf seine Nase, die
sofort zu bluten begann. "Der Kahlrasierte hat noch
gesagt," erinnert sich der 24jährige Troya, "Du
bist niemand, um mich zu begrüßen".
Der Nachrichtentechniker aus Barcelona arbeitet im
Institut für Halbleiterphysik ("IHP") in der
Oderstadt. Mehrere der insgesamt 18 ausländischen IHP-Mitarbeiter
sind aufgrund des gesellschaftlichen Klimas inzwischen
nach Berlin gezogen und nehmen lieber die langen
Fahrzeiten in Kauf, andere überlegen, dem Osten
Deutschlands ganz den Rücken zu kehren. "Seit
bekannt wurde, dass indische Computerspezialisten für
Deutschland angeworben werden," berichtet IHP-Sprecherin
Heidrun Förster, "haben sich die Übergriffe auf
unsere Mitarbeiter gehäuft."Um die Hightech-Schmiede
sind bereits knapp 1000 Arbeitsplätze entstanden.
Nach dem Zusammenbruch des früheren Halbleiterwerks mit
seinen 8000 Mitarbeitern ist die Mikroelektronik
gemeinsam mit der Europa-Universität Symbol des
Aufschwungs und vieler Hoffnungen. 40 neue Firmen sind im
Umfeld des IHP inzwischen gegründet worden, an jedem
neuen Arbeitsplatz hängen zwei bis drei weitere Jobs von
Zuliefer-Firmen. Die Arbeitslosigkeit ist auf für
brandenburgische Verhältnisse niedrige 17 Prozent
gesunken. "Wir verhandeln jede Woche mit
potenziellen Investoren", erklärt das Investor
Center Ostbrandenburg, "und der Ruf der
Fremdenfeindlichkeit schadet uns dabei sehr".
In der vergangenen Woche sind in und um Frankfurt allein
drei brutale Übergriffe bekannt geworden. Vier
Mitarbeiter eines indischen Restaurants etwa wurden von
rechtsradikalen Schlägern ohne jegliche Vorwarnung mit
Baseballkeulen attackiert. Als die Inder flüchteten,
hetzten die Angreifer ihren Dobermann hinterher. Und in
einem Sommercamp bei Frankfurt wurden französische
Urlauber Opfer des braunen Mobs. Kurz zuvor war
Informatik-Professor Rolf Kraemer der Kragen geplatzt.
"Ich habe mit einer solchen Atmosphäre in einem
zivilisierten Land nicht gerechnet", wandte sich der
IHP-Wissenschaftler, der aus Duisburg stammt, an das
Stadtparlament. Alle ausländischen Mitarbeiter, die er
angeworben habe, seien fremdenfeindlichen Attacken
ausgesetzt gewesen.
Seine Rede blieb nicht ohne Wirkung. Denn inzwischen weiß
auch der letzte Kommunalpolitiker, dass ohne Ausländer
die zarte Pflanze des Hightech-Aufschwungs wohl rasch
wieder eingeht. Vor allem die größeren Unternehmen, von
der Deutschen Bank bis zur Städtischen
Wohnungsbaugesellschaft, beginnen jetzt, sich gegen
Fremdenfeindlichkeit zu engagieren. Erste
Personalversammlungen haben stattgefunden, in denen die
Mitarbeiter sensiblisiert werden sollen. "Das heißt",
erläutert Uwe Hoppe, Chef des Business und Innovation
Centers, "in Alltagssituationen Toleranz und
Zivilcourage unter Beweis zu stellen". Konkret
wurden etwa Fahrer der Frankfurter Busse und Bahnen
angehalten, nach Anbruch der Dunkelheit Ausländer auch
außerhalb der regulären Haltestellen aufzunehmen. In
der Vergangenheit hatten sich mehrere Computerexperten
darüber beklagt, dass sie auf der Flucht vor
Rechtsradikalen vom Personal im Stich gelassen wurden.
Zudem gibt es die "Aktion Noteingang": Gelb-schwarze
Aufkleber an Eingangstüren sollen Opfern von Gewalt
Zuflucht signalisieren. Auch das Halbleiter-Institut ist
in die Offensive gegangen. Ausländische und einheimische
Mitarbeiter führen Schulklassen durch die Einrichtung
und diskutieren mit ihnen, was laut Sprecherin Förster
"hervorragend" angenommen wurde. Abbas Ourmazd,
wissenschaftlich-technischer Geschäftsführer des
Instituts, hat auch keine Sekunde mit seiner Unterschrift
gezögert, als er von dem "Offenen Brief" hörte,
den die Geschäftsführung des Forschungsverbunds Berlin
initiierte. "Wir sehen mit großer Sorge", heißt
es darin, "dass ausländische Wissenschaftler unsere
Einladungen zu Gastaufenthalten in unseren Einrichtungen
zunehmend mit Zögern oder Ablehnung beantworten - weil
sie sich in unserem Land nicht sicher fühlen". Mehr
als 70 deutsche Forschungseinrichtungen haben sich der
Aktion bereits angeschlossen. Nach der ersten Veröffentlichung
wurde der Berliner Verbund mit "ermutigenden
Zuschriften" überschüttet, wie Geschäftsführer
Falk Fabich berichtet. Doch es gab auch rechte Drohbriefe,
die ihn jedoch darin bestätigt haben, nicht mehr länger
durch Schweigen "ein klammheimliches Einverständnis
mit dem gewalttätigen Nachwuchs" zu signalisieren. |