Die Welt

12. August 2000

 
Potsdam sucht Wege für nächtliche "Noteingänge"

Die Stadt will verfolgten Ausländern auch nachts helfen - Bisher haben sich nur 13 Städte der Hilfsaktion angeschlossen

Von Hans-Rüdiger Karutz


Potsdam - Die Brandenburger Initiative "Noteingänge", eine Aufkleber-Aktion, die signalisiert, dass sich bedrängte Ausländer in die so gekennzeichneten Geschäfte, Restaurants und öffentlichen Einrichtungen flüchten können, wird in Zukunft auch von der Stadt Potsdam aktiv unterstützt.

Oberbürgermeister Matthias Platzeck (SPD) verzeichnet bei seinen Bürgern zunehmende Courage: "Wir erhalten jetzt täglich Anrufe von Ladeninhabern, die nach dem Aufkleber der Aktion ‚Noteingang' fragen", sagt er. Inzwischen ließ Platzeck das Stadthaus und andere kommunale Einrichtungen mit dem schwarz-gelben Hinweis ausrüsten, der "Schutz und Informationen bei rassistischen und fremdenfeindlichen Übergriffen" verspricht. Offen aber bleibt bisher das Problem nächtlicher Überfälle. Irgendwann schließen öffentliche Gebäude und an Wochenenden bleiben sie ohnedies zu. "Um auch nachts Schutz zu bieten, brauchen wir eine regelrechte konzertierte Aktion, die auch Gaststätten mit einbindet", fordert Platzeck. Der Oberbürgermeister will nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub Fachleute aus der Verwaltung, Geschäftsleute, Gastronomen, Kirchenvertreter zu einer Gesprächsrunde zu diesem brisanten Thema einladen: "Ich denke, dieses Problem füllt längst nicht mehr das Sommerloch, sondern erfasst die gesamte Gesellschaft!" Er schlägt zudem auf Landesebene regelrechte Regionalkonferenzen der Gemeinden vor: "Bisher machen lediglich 13 Städte bei der Aktion ‚Noteingang' mit - viel zu wenige." Platzeck will bei diesen Zusammenkünften auch die Chancen erörtern, in den brandenburgischen Gemeinden regelrechte "Koordinatoren gegen Rechtsextremismus" einzusetzen, die die Öffentlichkeit mobilisieren.

Die Aktion "Noteingang" kam im Sommer 1998 zustande, nachdem rechte Schläger in Bernau einen gambischen Asylbewerber und einen Vietnamesen brutal verletzt hatten und eine Gruppe einheimischer Jugendlicher die Bernauer Bürger alarmierte: Am 1. September erhält dieser Kreis deshalb den "Aachener Friedenspreis", der jährlich ungewöhnliche Initiativen "von unten" auszeichnet. Platzecks Sorge vor weiteren rechtsradikalen Aktionen ist groß: "Viele Gemeinden haben wegen angeblicher Rücksicht auf ihren Wirtschaftsstandort und weil sie ihre Gegend nicht beeinträchtigt sehen wollten, das Problem verniedlicht oder klein geredet. Diese Zeit ist vorbei!" Niemand erweise sich jetzt mehr mit "Verschweigen" einen Dienst. "Wir haben auch deshalb damit begonnen, die Plaketten an unseren Gebäuden anzubringen, weil sie vielleicht manchem privaten Geschäftsmann die Angst nehmen, Rechte würden seine Schaufensterscheiben einwerfen. Von dieser Befürchtung haben mir viele Ladeninhaber berichtet." Er halte die sichtbare Aktion auch deshalb für sinnvoll, "weil allein schon das Vorbeigehen an diesen Schildern jeden inne halten und fragen lässt: In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich, dass wir derartige Aufkleber nötig haben?"

Haben Potsdamer den Mut, bedrängten Ausländern in ihrer Not beizustehen? Nach einer Umfrage von Anfang 2000 erklärten 37 Prozent, sie würden "in jedem Fall" eingreifen. Jeder Zweite hielt dies für "wahrscheinlich". Jeder siebente Potsdamer antwortete mit "vielleicht".
 

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