02. September 2000 |
Friedenspreis Zivilcourage zum Aufkleben von Jan Thomsen Wie setzt man ein Zeichen? Auch wer schon weiß, wofür oder wogegen, weiß noch lange nicht, wie. Vor zwei Jahren hat Susanne Lang diese Frage mit ein paar Freunden diskutiert. In einem Jugendklub in Bernau, im Nordosten von Berlin, saßen sie zusammen und sprachen über ein wirkungsvolles Zeichen gegen die rechtsradikale Gewalt in ihrer Stadt. "Kurz zuvor", sagt die 24-jährige Psychologiestudentin, "waren ein paar junge Neonazis bei uns durch die Straßen gezogen und hatten auf so ziemlich jeden eingeprügelt, der nicht deutsch aussah." Dass die Polizei erst nach zwei Stunden eingriff, weil offenbar niemand sie gerufen hatte, war den Zeitungen am nächsten Tag nur ein paar Zeilen wert. "Da dachten wir: Wenn sich bei so einem Vorfall keiner mehr empört, dann stimmt hier etwas nicht. Dann haben wir uns schon an viel zu viel gewöhnt." Gegen diese Gewöhnung ersannen Susanne Lang und ihre Mitstreiter die "Aktion Noteingang". Dafür wurde ihnen am Freitag - zusammen mit einer mosambikanischen Initiative gegen die Rekrutierung von Kinder-Soldaten - der "Aachener Friedenspreis" verliehen. Die Auszeichnung vergibt ein Verein aus der Stadt alljährlich in bewusster Ergänzung zum bekannten Karlspreis. Der Friedenspreis, dessen Gründer aus der westdeutschen Friedensbewegung stammen, soll ziviles Engagement würdigen, das sich "von unten" - so bestimmt es die Gründungserklärung von 1988 - gegen Hass und Feindbilder, gegen Krieg und Unrecht richtet. Genau dies ist der Grundgedanke der "Aktion Noteingang": Wenn aggressive Rechtsradikale die Atmosphäre ganzer Innenstädte prägen, dann müssen andere ebenso deutlich wie öffentlich widersprechen. Wenn die Polizei fast immer zu spät kommt, dann müssen andere schon vorher Schutz bieten. Und wenn die Rechten am liebsten alle Ausländer raus haben wollen, dann müssen andere die Ausländer eben rein lassen. Und zwar in ihre Häuser, in ihre Geschäfte, in ihre Büros. Daher, so dachten sich die Bernauer um Susanne Lang, sollte an möglichst vielen Häusern immer schon draußen dran stehen, dass es drinnen Hilfe gibt. Sie ließen einen simplen gelbschwarzen Aufkleber mit dem Slogan "Aktion Noteingang" drucken, groß wie ein Handteller, und verteilten ihn an Läden und Geschäfte in der Bernauer Innenstadt, vom Buchhändler über den Fleischer bis zum nächsten Imbiss. Der Satz "Wir bieten Schutz und Informationen bei rassistischen und faschistischen Übergriffen!" steht darauf, auf Deutsch, Englisch, Polnisch, Französisch und Russisch. "Damit wollten wir zwei Dinge erreichen", sagt Susanne Lang. "Erstens ein Sicherheitsgefühl für Gefährdete, zweitens ein Signal an potenzielle Täter: Hier ist man nicht eurer Meinung!" Die Sache mit dem Aufkleber fand viel Resonanz, auch wenn es manchmal nur daran gelegen haben mag, dass es plötzlich so einfach war, Zivilcourage zu zeigen. Immer mehr Städte in Brandenburg schlossen sich, meist auf Initiative linker Jugendgruppen, der Initiative an und organisierten eigene Noteingangs-Aktionen: Strausberg, Angermünde, Schwedt, Eberswalde, Neuruppin, alles Orte, die bislang eher durch rechtsradikale Aufmärsche aufgefallen waren und nicht durch den Widerstand dagegen. Demnächst kommen Halle und Leipzig dazu, auch aus Lübeck hat sich schon jemand gemeldet. Da ist es schon bemerkenswert, dass ausgerechnet in Bernau fast alle Aufkleber wieder aus den Eingängen verschwunden sind, wie Susanne Lang erzählt. Das liegt daran, dass der Bürgermeister von der CDU gegen die Aktion ist. Ihm gefällt der Text nicht und er fürchtet, dass alle, die nicht mitmachen, gleich als Ausländerfeinde gelten. Auch bei der Verleihungszeremonie haben die Leute vom Noteingang ein Zeichen gesetzt. Sie spendeten ihr Preisgeld von 2 000 Mark den Asylbewerbern aus dem brandenburgischen Rathenow, die sich seit einigen Monaten selbst um die Verbesserung ihrer Situation bemühen, vom Schutz vor Übergriffen bis zur Arbeitserlaubnis. "Zeichen setzen ist ja schön", sagt Susanne Lang. "Aber das reicht nicht. Man muss schon etwas mehr tun." |