Telefonkette und
Aktion "Notruf" als Antwort
Diskussionsrunde,
wie rechter Gewalt begegnet werden kann
Der Schock über die Ausschreitungen beim Wohngebietsfest
im Wittenberger Neubaugebiet sitzt immer noch tief. 40
bis 50 zumeist jugendliche Rechtsradikale hatten am Abend
des 8. September Polizisten angegriffen, randaliert und
faschistische Parolen gerufen (RUNDSCHAU berichtete). Am
Donnerstag trafen sich auf Einladung der PDS im
Neubaugebiet Bewohner, Politiker, Schüler, Lehrer,
Polizisten und Juristen, um über aktive Möglichkeiten
im Kampf gegen rechts zu diskutieren.
Die Veranstaltung, zu der ungefähr 60 Wittenberger
gekommen waren, schien anfangs auszuarten in
Schuldzuweisungen. Wolfgang Hänsch, Leiter der
Wittenberger Kripo nahm seine Beamten in Schutz, die völlig
in der Minderheit, mit der Situation überfordert waren.
Ines Petermann, Leiterin der betroffenen Schule, auf
deren Territorium das Fest stattfand, rechtfertigte die
Reaktion des Lehrerkollegiums, aus dem Fest auszusteigen.
Nach einer Stunde aber besannen sich die Akteure der
Diskussion auf das Suchen nach praktikablen Handlungsmöglichkeiten.
So regte Karin Dübner an, für politisch Verantwortliche
in der Stadt eine Telefonkette zu organisieren. "Dann
können wir präsent sein, und erfahren es nicht erst aus
der Zeitung."
In Arbeit ist ein Aufruf zur Aktion "Noteingang".
An ihr können sich Geschäfte, Gaststätten und
Institutionen der Stadt beteiligen. Ein einheitliches
Symbol im Schaufenster zeigt Menschen, die sich bedroht fühlen,
an, dass sie hier Schutz finden. Horst Dübner schlug vor,
die Ausstellung, die zum 50. Jahrestag der Progromnacht
1988 in der Lutherhalle zu sehen war, und die eingelagert
ist, wieder aufzubauen und an den Schulen zu zeigen. Ein
Bürger, der den 2. Weltkrieg als junger Mann erlebte,
hat sich spontan bereit erklärt, darüber in
Schulklassen zu sprechen und mit den Kindern zu
diskutieren.
Die Geschehnisse vom 8. September haben viele
Wittenberger wachgerüttelt. Aber mit Unterschriften und
Aktionsprogramm sei wenig gegen rechtsradikale Gewalt
auszurichten, war man sich in der Runde einig. Man dürfe
auch autonome Gruppen und Rechtsradikale nicht in einen
"Topf werfen". Die Aufklärung der Öffentlichkeit
über die Symbolik der rechten Szene und die Förderung
nichtrechter Strukturen in der Jugendarbeit forderten die
Anwesenden als dringende nächste Schritte.Birgit Rudow |