Die Welt

30. August 1999

 
In vierzehn Städten gibt es "Noteingänge"

Bilanz der Aktion zum Schutz gegen fremdenfeindliche Übergriffe - Ein Viertel der Angesprochenen macht mit

Von Hanna Kolb

Frankfurt (Oder) - Schon insgesamt 220 Aufkleber mit der Aufschrift "Wir bieten Schutz und Informationen bei rassistischen und fremdenfeindlichen Übergriffen" kleben an den Scheiben von Geschäften, Bibliotheken, Schulen und Ämtern: Das ist die Bilanz ein Jahr nach Beginn der brandenburg-weiten "Aktion Noteingang", die am Sonnabend auf einer Konferenz in der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) vorgestellt wurde. Damit beteiligt sich ungefähr ein Viertel der 909 angesprochenen Ladenbesitzer und Leiter von öffentlichen Institutionen an der Aktion. Doch diese Aufkleber sind nur eines ihrer Ergebnisse.

Für mindestens ebenso wichtig halten die Initiatoren, dass in vielen Städten zum ersten Mal überhaupt eine Diskussion über Fremdenfeindlichkeit in Gang kam. Anderenorts fanden Jugendliche den Mut, sich der dominierenden rechten Szene entgegenzustellen. "Wir haben Strukturen aufgebaut und Ansätze für eine kontinuierliche Jugendarbeit geschaffen", sagt Knut Steinkopf, Noteingang-Sprecher aus Strausberg.

Ihren Anfang nahm die "Aktion Noteingang" in Bernau, nachdem dort im Sommer 1998 ein Gambier und ein Vietnamese am hellichten Tage überfallen und misshandelt worden waren. Eine Gruppe von Jugendlichen tat sich zusammen und zog durch Geschäfte und öffentliche Institutionen mit der Bitte, den Aufkleber anzubringen. Begleitend verteilten sie einen Fragebogen, in dem sich die Angesprochenen anonym dazu äußern konnten, wem sie bei einem Überfall helfen würden, und auch Gründe nennen, warum sie den Aufkleber nicht anbringen wollten.

Über persönliche Kontakte und die Medien erfuhren Jugendliche in anderen Städten von der Aktion. Insgesamt beteiligten sich Gruppen in 14 brandenburgischen Städten daran. In Cottbus und Erkner aber scheiterte die Aktion auch. Die Berichte der einzelnen Gruppen sind jetzt in einer Broschüre zusammengefasst worden, die mit 20 000 Mark Preisgeld der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung finanziert wurde. Lesenswert ist die Broschüre auch deshalb, weil sie einen Überblick über die politische Jugendkultur in den einzelnen Städten gibt. Die Berichte zeigen: Der Erfolg hing nicht zuletzt davon ab, ob es den Jugendlichen gelang, in ihrer Stadt einflussreiche Bündnispartner zu gewinnen, aber auch von der gewählten Taktik.

"Wir gingen zuerst zur Presse, und wir überlegten uns ein Konzept: erst die öffentlichen Institutionen anzusprechen und dann erst die Einzelhändler", erzählt Steffi Lippold aus Schwedt. Im ORB hatte die 17-jährige Gymnasiastin von der Aktion erfahren. Den SPD-Bürgermeister konnte ihre Gruppe noch gewinnen, den Aufkleber persönlich am Rathaus anzubringen. Unter den Schwedter Ladenbesitzern hingegen war die Resonanz gering: "Von 150 haben zehn mitgemacht." Mit dem Argument "Das verdirbt das Klima" habe der Manager des großen Oder-Centers den Einzelhändlern darin verboten, den Aufkleber anzubringen. Viele hätten auch Angst gehabt. Angst, Kunden zu verlieren, oder Angst vor Vandalismus: "Die schlagen mir die Scheiben ein." Trotzdem. Für Schwedt, wo Bomberjacken das Stadtbild dominieren, sei die Aktion ein Erfolg gewesen, meint Steffi. Zum ersten Mal sei dort eine nicht-rechte Jugendgruppe an die Öffentlichkeit getreten.

Ganz umgekehrt die Situation in Bernau. Hier, wo rechte Jugendliche in der Minderzahl sind, wollte sich der CDU-Bürgermeister an der Aktion nicht beteiligen, weil sie eine "politische Positionierung" sei. Daraufhin zogen auch viele Ladenbesitzer ihre bereits zugesicherte Unterstützung wieder zurück.
 

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